Museumslandschaft #3; "Haus der Kunst München"; 114 x 191 cm; Aquarell (watercolor); 2017; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“
Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now.
Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #8; "Hamburger Bahnhof Berlin"; 114 x 191 cm; Aquarell (watercolor); 2017; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #12; "Kunstbau München"; 81 x 114 cm; Aquarell (watercolor); 2018; Privatbesitz Bamberg; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #9; "Kunstmuseum Arenshoop"; 114 x 168 cm; Aquarell (watercolor); 2017; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #13; "Lentos Linz"; 53 x 78 cm; Aquarell (watercolor); 2018; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #16; "Metropolitan Museum New York"; 114 x 191 cm; Aquarell (watercolor); 2018; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #5; "MUMOK Wien"; 114 x 191 cm; Aquarell (watercolor); 2017; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #10; "Museo D'Arte Contemporaneo Donna Regina di Napoli"; 60 x 84,5 cm; Aquarell (watercolor); 2018; Privatbesitz Bamberg; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #15; "Museum Ludwig Köln"; 114 x 191 cm; Aquarell (watercolor); 2018; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #7; "Neue Nationalgalerie Berlin"; 114 x 398 cm; Aquarell (watercolor); 2017; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #4; "SF Moma"; 114 x 191 cm; Aquarell (watercolor); 2017; Foto: Annette Kradisch

Kontext
Keine Katastrophe ist malerischer als die Feuersbrunst. Sie verhält sich zum glühenden Farbenspiel des Sonnenuntergangs wie das Drama zur Lyrik. Neben der Zerstörung Sodoms, auf das Feuer und Schwefel vom Himmel regneten, bot in der alten Kunst natürlich vor allem die Hölle Künstlern wie Publikum Anlass, in Flammen zu schwelgen. Um wie viel fesselnder ist etwa auf Hans Memlings Weltgerichtsaltar im Nationalmuseum Danzig der Sturz der nackten Leiber in die hoch lodernden Flammen der ewigen Verdammnis auf dem rechten Flügel als der auf der Gegenseite dargestellte geordnete Einzug der Seelen in den Himmel, dessen Pforten wie ein gotisches Kirchenportal dargestellt sind. Von Rubens‘ Höllensturz in der Alten Pinakothek in München ganz zu schweigen: Hier scheint das Feuer aus den Leibern selbst zu bestehen. Eine barocke Steigerung des Schreckens, gemalt um 1621, als die Hölle des Dreißigjährigen Krieges über Europa hereingebrochen war, der nicht nur Magdeburg in Schutt und Asche legen sollte, woraus zu ersehen ist, dass apokalyptische Phantasie und zeitgeschichtliche Erfahrung immer Hand in Hand gehen. Das säkularisierte 19. Jahrhundert bezog den Thrill der Flammenhölle zunehmend weniger aus der Heiligen Schrift. Realität ersetzte den Mythos. So wie zum Beispiel im Oktober 1834, als ein verheerender Brand den Westminster-Palast im Herzen Londons fast ganz zerstörte. Nur wenige historische Bauteile blieben erhalten, darunter die Westminster Hall. Der Maler William Turner war Augenzeuge der Katastrophe. Im Folgejahr präsentierte er in der British Institution und in der Royal Academy zwei unterschiedliche Versionen von The Burning of the Houses of Lords and Commons. Insbesondere die erste Version, die sich heute im Philadelphia Museum of Art befindet, lebt vom Gegensatz kalter und warmer Farben. Eine Herausforderung für Maler, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert später auch Claude Monet stellte. Ebenfalls mit Blick über die Themse auf die Houses of Parliament, die anstelle des Westminster-Palasts errichtet worden waren. Wenn bei Monet die Sonne aufgeht oder durch den Nebel bricht, dann brennt allerdings nur der Himmel. Die großen Feuer des 20. Jahrhunderts sind an der Malerei weitgehend spurlos vorübergezogen. Kein Wunder, weilte sie doch in den Gefilden des Ungegenständlichen und Abstrakten. Gemälde, die den Brand des Wiener Justizpalastes oder des Berliner Reichstages festgehalten hätten? Fehlanzeige! Längst hatte die Fotografie die Aufgabe übernommen, die Chronik des Schreckens zu bebildern. Umso merkwürdiger erscheint vor diesem Hintergrund jenes Gemälde von Edward Ruscha, das eine Brandkatastrophe zeigt, die allerdings nie stattgefunden hat. The Los Angeles County Museum on Fire, gemalt 1965-66, war eine einzige Provokation. Als das über drei Meter breite Bild 1968 zum ersten Mal in einer Galerie in Los Angeles ausgestellt wurde, kündigte der Künstler „the most controversial painting to be shown in Los Angeles in our time“ an.1 Erst 1965 war das nach Plänen des Architekten William Pereira errichtete Kunstmuseum am Wilshire Boulevard eröffnet worden. Und nun schlugen auf Ruschas Bild Flammen aus dem für die Museumssammlung reservierten Ahmanson Building und schwarzer Rauch quoll hervor. Warum Ruscha unter die Brandstifter gegangen war, war nicht so ganz klar. Der antiautoritäre Impuls, aus dem diese aggressive Attacke auf das Museum als Institution entsprang, passt jedoch ins Bild einer Zeit der Revolten. Später sprach Ruscha von „questioning authorities“.2 Zuvor hatte Edward Ruscha in Gemälden auch schon den Schriftzug „DAMAGE“ sowie Tankstellen brennen lassen. Doch an Explosivität war das Motiv des Museums wohl kaum zu übertreffen. Der bekannte Kunstkritiker Calvin Tomkins lehnt es jedoch ab, angesichts solcher Darstellungen von einer „dunklen Seite“ in Ruschas Kunst zu sprechen: „My guess ist that he really liked painting orange flames.“3 Wenn dann auch noch ein ironischer Kommentar zur banal-sterilen Architektur Pereiras in Betracht gezogen wird, lässt sich Ruschas Brandanschlag vielleicht besser verstehen. Ganz im Sinne jenes Karl Kraus zugeschriebenen Zitats, das dem berühmtesten Brandstifter der
Antike (neben Nero) Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Bevor ich ein endgültiges Urteil über Herostrat abgebe, würde ich gerne ein Bild des Tempels sehen.“ Ruschas brennendes County Museum blieb lange ein Solitär. Bis zu Gerhard Mayers Museumslandschaften, einer inzwischen aus 20 Blättern bestehenden Serie von Aquarellen, die deutsche und internationale Museen und Ausstellungshäuser im Moment der Zerstörung oder bereits danach zeigen. An die Stelle von schlichten Bränden treten weit effektvollere und im Zusammenhang des Terrorismus zeitgemäßere Explosionen oder glühende Lavaströme, die die Bauten verschlingen. Mindestens ebenso häufig greift er zu Sintfluten oder – wie man heute sagt – Tsunamis. In Einzelfällen erstarren die Häuser aber auch im ewigen Eis, werden unter Geröllhalden begraben oder von den apokalyptischen Reitern heimgesucht. Mit unermüdlicher Zerstörungswut arbeitet sich Gerhard Mayer durch eine Reihe mehr oder weniger berühmter Museen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Großbritannien, Russland und den USA. Woher kommt dieser Furor? „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören ...“, hatte Marinetti 1909 im Manifest der Futuristen lauthals verkündet. Träumt Gerhard Mayer womöglich heimlich davon, zu jenen „lustigen Brandstiftern“ zu zählen, die den mit „Friedhöfen“ identifizierten Museen endlich den Garaus bereiten? Denn allzu gut passen die Vernichtungsphantasien Marinettis zu seinen eigenen, wenn man etwa im Manifest liest: „Leitet den Lauf der Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! ... Oh, welche Freude, auf dem Wasser die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt treiben zu sehen!“4 Natürlich ist die Frage rein rhetorisch. Der Futurismus ist ferne Geschichte. Wenn überhaupt etwas von seinem Impetus geblieben ist, dann am ehesten noch in der Institutionskritik, die allerdings das analytische Florett dem avantgardistischen Säbel vorzog. Da muss es dann, um nach der Psychologie von Gerhard Mayers Museumssturm zu fragen, durchaus eine Lust sein, über die Stränge zu schlagen. Zielscheibe sind freilich nicht die Museen als Mausoleen der Kunst, wie sie noch die Futuristen attackierten, sondern jene durchaus belebten und beliebten Event- und Pilgerstätten, in denen statt Friedhofsruhe der Trubel der Massen herrscht. Mit dem Guggenheim-Museum in Bilbao hat Mayer bezeichnenderweise auch den Archetypus dieses Erfolgsmodells in seiner Aquarellserie mit von der Partie. Die apokalyptische Strafe für den Abfall von der reinen Lehre folgt auf dem Fuß. Ist es das, was den Künstler umtreibt? Wie immer gilt natürlich auch in diesem Fall: Kunst kommt (auch) von Kunst. Es gibt eine innere Logik im Werk von Gerhard Mayer, die nahezu konsequent auf die Aquarellserie hinführt. Ausgerechnet jenes Museum, das dem Künstler 2010 seine bis heute größte Wandzeichnung ermöglichte, das Neue Museum Nürnberg, ließ Mayer als erstes explodieren. Nicht, weil er dem Haus in irgendeiner Weise gram wäre. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass, schließlich besitzt das Neue Museum auch einige seiner Puzzlecollagen und Zeichnungen. Nein, ganz im Gegenteil: Es scheint, als vollende die Explosion die Intention seiner Wandzeichnung. Die ungeheure Dynamik, mit der Mayers Zeichnung damals durch alle sechs hinter der Glasfassade gelegenen Räume wirbelte, wird ins Bild der Explosion gefasst. Tausende von Ellipsenbruchstücken, die der Künstler mit Tusche auf die Wand gezeichnet hatte, strömten über die Wände. Das Operieren mit Elementen, das atomistische Prinzip Gerhard Mayers, das in seinen Zeichnungen zum Ausdruck kommt, lässt sich auch als Zersplitterung erfahren, als sei ein Ganzes gesprengt worden. Auch die Puzzlecollagen haben ja in der Zerstörung ursprünglicher Bildzusammenhänge ihren Ursprung. Insofern können die Museumslandschaften als überspitzte Metaphorisierungen eines für den Künstler grundlegenden bildnerischen Prinzips verstanden werden. Doch das Sympathische an Gerhard Mayers neuen Aquarellen ist, dass sie so gar nicht „arty“ im Sinne jener Selbstreflexion sind. Ganz im Gegenteil: Die Bilder sind erfrischend „trashy“, was sich ihren Inspirationsquellen verdankt. Der Künstler, der einerseits Teilchenphysik zu seinen
Interessen rechnet, verschlingt andererseits Science-Fiction- und Katastrophenfilme en masse. Zu fast allen Blättern seiner Serie kann er die Filme benennen, die ihm visuelle Anregung für seine Untergangsphantasien lieferten. Das Spektrum reicht von Roland-Emmerich-Filmen (The Day After Tomorrow, 2012 und White House Down) über Marvel-Comic-Verfilmungen (Iron Man und Doctor Strange) bis zu Star Wars: Die letzten Jedi. Ohne diesen Hinweis bliebe so manches unverständlich, wie etwa jene kaleidoskopartige Auflösung des Metropolitan Museums in New York, die den Special Effects aus Doctor Strange nachempfunden ist. Bemerkenswerterweise, und hier schließt sich der Kreis, beschäftigte sich auch Edward Ruscha mit dem Kino, als er an seinem brennenden Los Angeles County Museum arbeitete. Es ist überliefert, dass er sich damals mit Richard Hamiltons Vortragstext Glorious Technicolor. Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound von 1959 auseinandersetzte.5 Die glorreiche und atemberaubende Bildrhetorik Hollywoods verleiht Gerhard Mayers Museumslandschaften jene Glaubwürdigkeit, die den Plünderungen und Verwüstungen im Ägyptischen Museum in Kairo 2011 und im Museum von Mossul 2015 völlig abgeht. Zu unvorstellbar sind diese Akte der Barbarei, als dass sie real sein könnten. Die Zivilisation ist vielleicht noch dünner und zerbrechlicher als die Erdkruste. Gerhard Mayers Lavaströme lassen die wahren Ängste der Zeit Bild werden: Apocalypse Now. Thomas Heyden 1 Zit. nach: https://www.moma.org/interactives/exhibitions/1999/muse/artist_pages/rush_lacma.html 2 Zit. nach: Calvin Tomkins: „Ed Ruscha’s L. A. An artist in the right place“, https://www.newyorker.com/magazine/2013/07/01/ed-ruschas-l-a
3 Ebd. 4 F. T. Marinetti: „Gründung und Manifest des Futurismus, 1909“, in: Umbro Apollonio: Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909-1918, Köln 1972, S. 30 ff., hier: S. 34 f.
5 Vgl. Kerry Brougher: „Worte als Landschaft“, in: Neal Benezra, Kerry Brougher: Ed Ruscha, mit einem Beitrag von Phyllis Rosenzweig, Kat. Ausst., Kunstmuseum Wolfsburg, 2.2.-28.4.2002, S. 168
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Museumslandschaft #22; "Lenbachhaus München"; 50 x 64 cm; Aquarell (watercolor); 2018; Foto: Annette Kradisch

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